Menschenbild

Der Begriff "Menschenbild" meint in der Regel eine bestimmte Antwort auf die philosophische Frage:  «Was macht den Menschen zum Menschen?»
Verwirft man diese Frage als sinnlos, wird auch Frage nach dem Menschenbild obsolet. Warum ist es so wichtig, eine philosophische Grenze zwischen der "menschlichen" und "nichtmenschlichen" Natur zu ziehen? Damit man besser weiß, wen man ungestraft misshandeln darf und wen nicht? Wer das Recht hat, wen aufzufressen? Oder wen Gott-Vater auserwählt hat, einst in Ewigkeit zu seiner Rechten zu thronen?

Heute kommt der Begriff oft ganz harmlos und unbedarft daher. "Menschenbild" wird jede bildliche Darstellung von Menschen in irgendwelchen Zusammenhängen genannt. So betitelt ein Autor sein Buch, mit dem er seiner Körpertherapiemethode ein altehrwürdiges Fundament geben will: «Das geistige Menschenbild Altägyptens ...». Wohl ohne darüber nachgedacht zu haben, suggeriert er damit, es gäbe Forschungsresultate, welche aufzeigen könnten, dass sich schon die alten Ägypter die verfängliche Frage, was den Menschen zum «Menschen» mache, gestellt hätten.

Im ernsthafteren Menschenbild-Diskurs geht es um die Konkurrenz von Modell-Vorstellungen, etwa der «atomistischen» versus die «ganzheitlich-dynamische» Sichtweise, ob der Mensch ein «soziales Wesen» sei und das "Menschliche" dementsprechend die sozial gerechte Gestaltung der Gemeinschaft oder ob zum menschlichen Wesen Krieg und der «Kampf aller gegen alle» gehöre, ob der Mensch als nur dem Schicksal ausgeliefert gesehen oder seine «Selbstverantwortlichkeit» betont wird, ob man ihn (durch Erziehung und die Herrschaft der Gesetze) zu seinem Glück zwingen muss oder darauf vertrauen kann, «dass im Menschen selbstregulative Vorgänge stattfinden, durch die sich unter günstigen Bedingungen natürliche Ordnungen von selbst bilden». Da hat kürzlich ein Philosophieprofessor zum Thema gesprochen «Menschenbild und Wirtschaft. Oder: Ist die Bahn noch ein zeitgemäßes Verkehrsmittel?» Nebst vielen ganz praktischen aber auch moraltheologischen Erwägungen wird der Bahn der Ratschlag gegeben, zwar «das mediale hochmoderne, individualistische Menschenbild vom jungen ökonomisch Erfolgreichen, der mit Höchstgeschwindigkeit von Stuttgart nach Frankfurt muss» nicht zu ignorieren, aber sich ja nicht «von falschen Leitbildern einvernehmen» zu lassen, sondern zu schauen, was die Reisenden im Großen und Ganzen eigentlich wirklich wollen. Eben.

Brauchbar ist das Praktische, Daten über Verhaltenstrends von Menschen in bestimmten Zusammenhängen, nicht allzu abgehobene psychologische Erwägungen wie und über welche Kanäle die real irgendwo lebenden Menschen beeinflussbar sind. Das ist moderne alltägliche Machtpolitik. Wer sie missachtet, verkauft weniger Produkte und gewinnt für seine Partei weniger Stimmen. Der Streit um Menschenbilder ist ein Scheingefecht, in welchem reine Willensfragen und Vorlieben in pseudowissenschaftlichen Sprachmäntelchen und vor allem hinter moralischen Unterstellungen verborgen werden.

Wie sehr der Menschenbild-Diskurs ins Fahrwasser des Ethik-Geschwätzes geraten ist, zeigt zum Beispiel die unsinnige Begriffskonstruktion "humanes Menschenbild", womit implizit den Verfechtern entgegengesetzter Standpunkte ein «inhumanes Menschenbild» attestiert wird. Frei von jedem Hauch von Skepsis ist der Begriff "human" zum Symbol geworden von ethischen Festlegungen und moralischen Forderungen, wie du zu sein, zu fühlen und zu denken habest, wenn du noch zur Gemeinschaft der Achtenswürdigen gezählt werden willst. Verhältst du dich anders, sollst du geächtet sein. In den heiligen Hallen der Ethik kann dann daran gearbeitet werden, die reine machtpolitische Willkür solcher Forderungen zu verleugnen und zu vergessen.

Nichts gegen Machtpolitik. Am wenigsten, wenn sie unverschleiert getanzt wird. Mit Leidenschaft und mit Verstand.