Texte zur Würde des Einzelnen: Renaissance

Giovanni Pico della Mirandola

  • geb. 24.2.1463 in Mirandola bei Modena

  • mit 14 J.: Studium des kanonischen Rechts in Bologna

  • 1479-82 «studia humanitatis» und der Philosophie in Ferarra und Padua,

  • Disputation über 900 von ihm aufgestellte Thesen,
    die von Papst Innozenz VIII. verurteilt wurden

  • Flucht nach Frankreich, exkommuniziert bis 1493

  • gest. 17.11.1494

Ich bin der Schöpfer meiner selbst

[aus: «Oratio de hominis dignitate», konzipiert 1485]

Statuit tandem optimus opifex, ut cui dare nihil proprium poterat commune esset quicquid privatum singulis fuerat. Igitur hominem accepit indiscretae opus imaginis at que in mundi positum meditullio sic est alloquutus: »Nec certam sedem, nec propriam faciem, nec munus ullum peculiare tibi dedimus, o Adam, ut quam sedem, quam faciem, quae munera tute optaveris, ea, pro voto pro tua sententia, habeas et possideas. Definita ceteris natura intra praescriptas a nobis leges coercetur.
Tu, nullis angustiis coercitus, pro
tuo arbitrio, in cuius manu te posui, tibi illam praefinies. Medium te mundi posui, ut circumspiceres inde commodius quicquid est in mundo. Nec te caelestem neque terrenum, neque mortalem neque immortalem fecimus, ut tui ipsius quasi arbitrarius honorariusque plastes et fictor, in quam malueris tute formam effingas.
Poteris in inferiora quae sunt bruta degenerare; poteris in superiora quae sunt divina ex
tui animi sententia regenerari«.

[aus: «Rede über die Würde es Menschen»]

Endlich bestimmte der vortreffliche Schöpfer, dass der, dem er nichts Individuelles geben konnte, Anteil habe an allem, was die einzelnen jeweils für sich gehabt hatten. Also billigte er den Menschen als Geschöpf von unbestimmter Gestalt, stellte ihn in die Mitte der Welt und sprach ihn so an: «Wir haben dir keinen festen Wohnsitz gegeben, Adam, keine individuellen Züge noch irgendeine besondere Bestimmung, damit du den Wohnsitz, das Aussehen und die Bestimmungen, welche du dir selbst wählst, entsprechend deinem Begehren und Entschluss habest und besitzest. Für die übrigen Geschöpfe ist die Natur fest bestimmt und wird innerhalb von uns vorgeschriebener Gesetze begrenzt.
Du sollst dir deine Natur ohne jede Einschränkung, nach deiner Willkür, in deren Hände ich dich gegeben habe, festlegen. Ich habe dich in die Mitte der Welt gestellt, damit du dich von dort aus bequemer umsehen kannst, was es alles auf der Welt gibt. Weder haben wir dich himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich geschaffen, damit du gleichsam willkürlich und erwählt als Bildhauer und Gestalter deiner selbst dich selbst zu der Form gestaltest, die du bevorzugst.
Du kannst zu Niedrigerem entarten, welches stumpfsinnig ist; du kannst aber auch zu Höherem, welches göttlich ist, wiedererzeugt werden, aus eigenem Beschluss deiner Seele.«